Beatenberg als Hotspot der internationalen Missionsbewegung: Aus einer Konferenz vor 75 Jahren entstanden zahlreiche Missionsinitiativen mit grosser Wirkung. Felix Aeschlimann, heutiger Direktor des Seminars für biblische Theologie in Beatenberg, ordnete das Geschehen in einem Referat ein.
Zusammengefasst von David Gysel, Redaktor IDEA Schweiz. Der Artikel stammt aus dem IDEA, dem christlichen Wochenmagazin (Nr. 48.2023).
Vor gut 75 Jahren – vom 15. bis zum 22. August 1948 – trafen sich im Berner Oberland junge Christen, die in den folgenden Jahrzehnten zu den international einflussreichsten Evangelikalen zu zählen waren. Das damalige Bibel- und Missionsseminar Beatenberg, das heutige Seminar für biblische Theologie sbt, war Schauplatz der von «Youth for Christ» (Jugend für Christus) YFC organisierten «Weltkonferenz für Weltevangelisation». YFC war 1944 gegründet worden, um evangelistische Veranstaltungen im angelsächsischen Raum zu koordinieren. Erster vollzeitlicher Mitarbeiter war der junge Prediger Billy Graham.
Am 22. November 2023, an der Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Missionen (AEM) in Zürich, zeigte der aktuelle sbt-Direktor Felix Aeschlimann vor Schweizer Missionsleitern die Bedeutung jenes Kongresses auf. «1948, kurz nach dem Krieg: Die Not Europas wurde auch in den USA zum Thema unter den Christen. Amerikaner fürchteten sich vor einer kommunistischen Expansion in Europa und darüber hinaus. Evangelikale vertraten eine pessimistische und kritische Sicht auf den geistlichen Zustand Europas im Allgemeinen», erklärt Aeschlimann den damaligen Anlass. Religiöser Nominalismus und theologischer Liberalismus wurden als Schlüsselfaktoren genannt, die zum verheerenden Zustand des europäischen Christentums beitrugen.
«DIE ZEIT IST KURZ!»
Eines der Mottos an diesem Kongress war: «Liebe Brüder, die Zeit ist kurz» (in Anlehnung an 1. Kor 7,29). Interessanterweise habe sich das weniger auf die Naherwartung damals bezogen, sondern auf die Möglichkeit einer baldigen nächsten Katastrophe durch den Kommunismus. «Es ist sicher kein Zufall, dass jene legendäre Konferenz für Weltmission in Beatenberg stattfand. Dort fand sich der ideale Nährboden für die Ideen der Veranstalter, denn die exakt gleichen Visionen verfolgte auch die Schule», so Aeschlimann. YFC-Gründer und -Präsident Torrey Johnson habe sich vom Heiligen Geist nach Beatenberg als Konferenzort geführt gewusst. Das Ehepaar Wasserzug, das die Bibelschule in Beatenberg leitete, pflegte bereits regen Kontakt zu US-amerikanischen Evangelikalen.
DAS VERMESSENE ZIEL
Das Kongressziel, nichts weniger als die Weltevangelisation, kommentiert Aeschlimann: «Das tönt ziemlich vermessen! Ein mutiger Schritt, der den Verdacht einer gewissen Naivität aufkommen lässt. Und wenn man die Teilnehmer genauer betrachtet, so erhärtet sich dieser Verdacht: Das waren Leute von teilweise recht begrenzter Ausbildung und noch weniger Erfahrung.» Torrey Johnson habe sogar gesagt, dass sie als Gruppe unreif waren.
Aeschlimann dazu: «Aber die Tatsache, dass sie unerfahren waren, hatte auch etwas Gutes: Es gab keine Routinen, die zu befolgen waren, ebenso wenig Traditionen, die erklärt werden mussten. Sie hatten keine Vorgeschichte, die für die Leitung vielleicht gut gewesen wäre, aber ebenso eine Behinderung hätte werden können. Es war eine neue Gruppe mit wenig Hintergrund, jedoch bereit für alles, was auf sie zukam. Sie hatten Glauben, Mut und Enthusiasmus. Es entstand eine grosse Dynamik.»
MISSION NACH DEM NATIONALISMUS
Da sei von Anfang an der Wunsch gewesen, sich mit den Leuten zu vernetzen, die schon in den Ländern tätig waren, die man erreichen wollte. Die Teilnehmerliste und die angebotenen Übersetzungen – über ein Dutzend Sprachen, von europäischen Sprachen bis hin zu Arabisch, Philippinisch und Hindi – hätten das deutlich gezeigt. Manche Teilnehmer erlebten den Kongress als Augenöffner. Das Organisationskomitee habe gewünscht, dass keine Unterschiede zwischen den Nationen gemacht würden und sich alle beteiligen sollten. Für Aeschlimann ist das eine recht aussergewöhnliche Ansage angesichts des damaligen vorherrschenden Rassismus (nicht nur in Deutschland) und auch angesichts der Teilnehmer aus Nationen, die wenige Jahre zuvor verfeindet waren.
Beatenberg 1948
DIE ATMOSPHÄRE
Den Veranstaltern war bewusst, dass das Unternehmen Weltevangelisation nicht nur von der Nutzung neuer technischer Methoden abhing, sondern nur gelingen konnte, wenn man tief in Christus verankert ist. «Der Heilige Geist hat uns zusammengeführt zum Gebet, zum Bibelstudium, um unsere Herzen zu erforschen und auf Gott zu hören», waren Worte der Organisatoren an die Teilnehmer. «Möge es IHM gefallen, uns eine neue und grössere Schau zu schenken in die Aufgabe der Weltevangelisation und die Mittel, durch welche sie jetzt durchgeführt werden kann!»
Aeschlimann zitiert die anschliessenden Eindrücke zweier britischer Teilnehmer: «Die Predigten waren nicht von akademischer Beredsamkeit, sondern die leidenschaftliche Verkündigung einer Botschaft, die dem Prediger auf dem Herzen brannte. In solchen Gottesdiensten könnten nur die Totengräber die Gegenwart Gottes nicht spüren.» Jemand anders habe berichtet: «Gebetsversammlungen zogen sich manchmal bis weit nach Mitternacht hin. Es gab Gelegenheiten, bei denen starke Männer unter der Kraft des Geistes wie Kinder weinten, und es wurden Bekenntnisse gesprochen, die nur aus der gleichen Quelle stammen konnten. In vielen Gesichtern leuchtete eine unaussprechliche Freude voller Herrlichkeit.»
AUSWIRKUNGEN
Aeschlimann vergleicht den Kongress mit vielen Missionskonferenzen und Veranstaltungen der Hingabe für das Reich Gottes, die er besucht hat. Dabei hält er die damaligen Ziele für keineswegs übertrieben. Manche Teilnehmer hätten dies später so bestätigt. Am Kongress wurden laut Aeschlimann keine konkreten Pläne für die Weltevangelisation vorgelegt, nur der Auftrag wurde neu betont. Konkrete Pläne wurden erst an einer Konferenz in Cannes (Frankreich) im Folgejahr besprochen.
Doch schon der Anlass in Beatenberg führte zu konkreten Auswirkungen in der Gründung von Missionswerken und theologischen Ausbildungsstätten. So habe Robert (Bob) Evans ein Jahr später sein Amt als internationaler Leiter von YFC niedergelegt. Er gründete in Frankreich eine Bibelschule und dann die «Greater Europe Mission», die in zahlreichen Ländern Europas Evangelisten, Lehrer, Prediger und Missionare ausbildete. Paul Freed traf zwei Spanier am Kongress, das führte wiederum zur Gründung von Trans World Radio und 1959 des deutschsprachigen Evangeliums-Rundfunks ERF. Ein anderer Teilnehmer aus YFC, Bob Pierce, gründete 1950 das Hilfswerk World Vision. Und: «Schon unmittelbar nach der grossen Konferenz in Beatenberg fanden weitere Veranstaltungen mit Oswald Smith und Gertrud Wasserzug in Frankfurt, Nürnberg, Essen und Wuppertal statt. Der Abschluss in Nîmes (Frankreich) mit Torrey Johnson und Billy Graham zog etwa 40’000 Teilnehmer an. Beatenberg gilt als Vorläufer aller anderen Missions- und Evangelisationskongresse. Nicht zuletzt setzte Billy Graham mit seinen Evangelisationen einen Fokus auf Europa.»